Ich kenne meinen verrückten Professor sehr gut. Mittlerweile akzeptiere ich ihn und meistens kann ich sogar über ihn lachen. Es ist mir gelungen einen Weg zu finden, wie ich ihn sanft, aber bestimmt, zum Schweigen bringe. Handschriftliches Schreiben. Da hat er keine Chance. Sobald ich meinen Füller zur Hand nehme und Buchstaben übe, Wörter oder ganze Sätze schreibe, Tagebucheinträge verfasse oder Affirmationen wiederhole, von da an muss er sich gedulden, ob er will oder nicht. Wieso ist das so? Die Hand, das Gehirn und der “heilige“ oder göttliche Geist, sind eng miteinander verbunden. Um einen Satz korrekt schreiben zu können, muß ich meine volle Aufmerksamkeit auf die Bewegung der Hand und des Stiftes legen. Sie sind die Werkzeuge meines Geistes und sind bereit für das bevorstehende Diktat. Versuchen Sie einmal “Katze“ zu schreiben und an das Wort “Hund“ zu denken. Vielleicht gelingt es Ihnen sogar. Nun verfassen Sie einen Brief an Ihre Mutter oder an Ihren Liebsten, währenddessen laute Musik läuft oder Sie sich gedanklich schon im Wochenende befinden. Schon etwas schwieriger, nicht wahr? Handschriftliches Schreiben trainiert Achtsamkeit und Fokus. Ruhig und entspannt, mit geradem Rücken auf einem Stuhl sitzend, die Füße geerdet und den Blick auf das leere Blatt Papier gerichtet. Völlig präsent, mit dem Geist und der Seele verbunden. Der Atem wird ruhiger und Ihr schriftlicher Ausdruck wird sich auf klare und leserliche Weise vor Ihren Augen widerspiegeln. Herrscht Chaos im Kopf, sieht auch das Schriftbild dementsprechend durcheinander aus. Die Buchstaben schwenken von links nach rechts, die Linien fallen nach unten und/oder die Zeilenabstände variieren von eng und streng, zu weit auseinander und zerklüftet. Hastiges notieren von Informationen bewirkt unklares Gekritzel. In Anbetracht der Tatsache, daß heute die wenigsten Menschen mit der Hand schreiben, ist das ganz normal. Viele sind schlichtweg aus der Übung. Schreiben Sie noch gerne mit der Hand? Oder denken Sie eher mit Abscheu an ihre schulischen Schreiberfahrungen und sind deswegen heilfroh, den Computer benutzen zu dürfen? Automatische Schreibkorrektur, Schriftgröße und Schriftart, alles ist mit einem Click eingestellt. Wenn der Text noch nicht sitzt .... schwupp di wupp ist er wieder gelöscht. Dazu braucht es keine besonderen Fähigkeiten. Hierfür reicht das sogenannten “Reptiliengehirn“, welches ohne große Anstrengung und Bewusstsein, beinahe automatisch, funktioniert. Fließendes, handschriftliches Schreiben fordert und fördert Kreativität und Flexibilität. Je wacher und gesünder der Geist, umso klarer und leserlicher die Handschrift. Graphologie ist die Lehre der Handschrift als Ausdruck des Charakters. Tatsächlich kann ein geübter Graphologe Charakterzüge eines Menschen, sowie vorrangige Neigungen des Schreibers anhand von handschriftlichen Mustern erkennen. Ob Sie nun ein Graphologe sind oder nicht, beim Betrachten einer fremden Handschrift kommen unweigerlich Gefühle, Gedanken und Meinungen in Ihnen hoch. Wie geht es Ihnen mit Ihrer eigenen Schrift? Sind Sie zufrieden damit? Mögen Sie Ihre Handschrift oder gehören Sie eher zu den Menschen, die das Wort “Sauklaue“ für Ihren schriftlichen Ausdruck verwenden? Haben Sie sich einmal gefragt, seit wann Sie so schreiben? Gab es einen bewussten Auslöser oder ein schriftliches Vorbild (Mutter, Vater, Freund), welches bestimmte Schriftzeichen genauso schrieb? Das Imitieren einer Handschrift ist gar nicht so selten. Manche Menschen haben von klein auf einen guten Draht zum Schreiben und Lesen. Lob schafft zusätzliche Begeisterung und Ja! es gibt durchaus ein Schönschrift Ego. Freudig nimmt es sich Raum und bewundert seine, mit Schnörkel verzierten, weiten Züge, selbst wenn drei Sätze ein ganzes DIN A4 Blatt benötigen. Hey, warum nicht zeigen wenn’s einem gut geht. “Ich würde alles in meinem Leben verändern, nur nicht meine Handschrift!“ Diesen Satz höre ich eher von Großschreibern. Nun gut, es würde sich einiges in Ihrem Leben verändern, wenn Sie bereit wären, den Raum (Blatt Papier) und die Aufmerksamkeit mit anderen zu teilen. Große, dekorative Majuskeln (Anfangsbuchstaben) haben eine imposante Wirkung auf den Betrachter. Man kann die Energie förmlich spüren. Hier zeigt sich ein Mensch, der den großen Auftritt in der Menge sowohl liebt, als auch braucht. An bestaunende Blicke ist er gewöhnt. Sie sind ihm angenehm. Was passiert, wenn der Applaus oder die Aufmerksamkeit ausbleiben? Das Selbstbild leidet und der Mensch fühlt sich schlecht. Balance ist der Schlüssel für ein glückliches Leben. Eine proportionale und ausgeglichene Handschrift spiegelt einen gelassenen Geist, welcher gut damit leben kann, nicht immer die erste Geige zu spielen und auch andere neben sich glänzen zu lassen. Sympathien sind Ihnen gewiss. Von der großen Bühne nochmal zurück zu den Anfängen. Waren oder sind Sie Linkshändler? Benötigt Ihr Gehirn bildhafte Beispiele, um ein Verständnis zur Aufgabe zu entwickeln. Grammatikalisch korrekte Briefe oder Aufsätze sind eine komplexe Sache. Dennoch kann jeder Mensch, durch eine liebevolle Herangehensweise und etwas spielerischem Training diese Leistung erbringen. Hat man eine Sache einmal von Grund auf gelernt und verstanden, kann das Gehirn ein Leben lang darauf zurückgreifen. Selbst wenn ich ein paar Jahre pausiere, kann ich jede Fähigkeit durch entsprechende Übungen, wieder aufblühen lassen. Egal ob Radfahren, ein Instrument spielen, reiten oder schreiben, es spielt keine Rolle. Was immer Geist und Körper durch unzählige Wiederholungen gelernt hat, bleibt ein Leben lang erhalten. Ein kleines Beispiel aus der Praxis: Ein guter Freund und zugleich mein bayrischer Tattoovierer Reinhard Winter, bemerkte während der Arbeit an meinem Körper, er sei Legastheniker und würde sich wegen seiner Handschrift und der unkorrekten Schreibweise schämen. Mir wollte nicht einleuchten wie ein Mensch, der gut zeichnet und ein Gespür für räumliches Denken hat, nicht auch schreiben lernen kann. Da er sich für meine Arbeit interessierte, ließ er mich einen Blick auf seine Handschrift werfen und ich gab ihm ein paar einfache Tipps, die er die nächsten 40 Tage umsetzten wollte. Täglich 30 Minuten Übung reichen bereits aus, um das Gehirn auf eine neue Sache einzustimmen. Wir begannen mit 6 gezielten Schreibveränderungen. Reinhard benutze von nun an einen Schreibblock, ohne Rand- und Zeilenvorgabe, dessen Blätter so dick sind, dass die Schrift auf der Rückseite nicht durchleuchtet. Das Schreiben im Querformat, ohne Zeilen- und Randvorgaben machte ihm von Anfang an Freude. Allein diese Schreibveränderung aktiviert automatisch den kreativen Geist und lässt sowohl die Gedanken, wie auch die Schrift länger fließen. Viele Menschen, die in künstlerischen Berufen tätig sind, schreiben auf Blanko Blättern, welche sie intuitiv quer legen. Das Standard Hochformat eignet sich gut für Auflistungen und Rechnungen. Um sein Selbstbewusstsein zu stärken bat ich Reinhard, Seine bis dahin eher kleine Schriftgröße zu verdoppeln, sodass sie, inklusive Ober- und Unterlänge, gute 2 bis 2,5 cm maß. Dies kann für Kleinschreiber (unter 1 cm) eine unangenehme Herausforderung werden, da sie sich dadurch in der Öffentlichkeit sichtbarer machen. Der entscheidende Vorteil einer größeren Handschrift ist beachtlich. Der Schreiber nimmt sich mehr Raum und traut sich selbst mehr zu. Die kopflastigen Grübeleien nehmen ab, das Bewusstsein wächst und Unachtsamkeit, sowohl in der Handschrift, wie auch in den Gedanken und Handlungen werden leichter erkannt. Jeder Vorname hat, genau wie ein Geburtsdatum, eine individuelle Energie. Die Nachnamen verbinden den Sohn oder die Tochter mit den Vorfahren. Nomen est Omen - Der Name ist ein Zeichen. Reinhard beginnt mit dem Buchstaben R, welcher zur Familie der Kreativität gehört. Während unserer Tattoo Sitzungen erzählte Reinhard voller Freude, wie er sein kleines Bauernhaus eigenhändig restauriert hat, den Garten neu anlegte, Motorräder und Autos reparierte, und dass er täglich mit Mantras seine Tage beginnt und beendet. Das Tattoo stechen mache ihm zwar Spaß, doch sei es nur wenig erfüllend für ihn. Dieser Mann hat so viele unterschiedliche Fähigkeiten, die nur darauf warteten, aktiv gelebt zu werden. Reinhard Winter übte 40 Tage den Buchstaben R und W , beachtete die besprochenen Empfehlungen zwecks Wort-, Zeilen- und Buchstabenabstand, sowie die neue Schriftgröße. Um kleine Verbesserungen vornehmen zu können, schickte er mir seine Übungen täglich. Ab und zu schrieben wir uns persönliche Briefe. Die offensichtlichen Fortschritte waren beachtlich. Von wegen Legastheniker. Sein Schriftbild bekam Sicherheit und Rechtschreibfehler wurden von mal zu mal weniger. Reinhard arbeitete sich selbstständig durch das Vimala Alphabet. Nach einer längeren Pause meldete er sich telefonisch bei mir. Voller Freude bedankte er sich für die vielen Veränderungen in seinem Leben. Sein Schriftbild hatte Form und Struktur bekommen. Heute arbeitet er als Landschaftsgärtner, Bühnenbildner, setzt sich für Wirtschaft, Kultur und Politik ein, treibt regelmäßig Sport und hat sein Leben eigenhändig mit Freude erfüllt. Das Wi in seinem Nachnamen Winter ist eine sogenannte Ligatur. Diese spezielle Buchstabenverbindung fördert das Lehren der Liebe zur Natur. Meine Berufung als Schreibschrift Lehrerin begann mit den Buchstaben des Vimala Rodgers Alphabets, welche ich in jahrelanger Praxis kennen und lieben gelernt habe. Für mich, wie für viele andere Menschen, ist das Schreiben der Buchstaben zu einem unentbehrlichen Ritual geworden. Schreiben heilt von innen nach außen. Hier bin ich absolut präsent. Laufen die Zeilen nach unten, kann ich sie augenblicklich anheben und trage aktiv zu einer höheren Schwingung bei. Schreibmuster sind unbewusste Denkmuster. Verändere ich das eine, verändert sich automatisch das andere. Viele Menschen haben sogar mehrere Handschriften. Eine für jeden Anlass. Tagebücher zeigen den Weg unserer Entwicklung auf einzigartige Weise. Dabei geht es weniger um ein Festhalten der momentanen Umstände oder Gefühle, sondern viel mehr um den Prozess des Schreibens und Erkennens an sich. Hier darf ich schonungslos ehrlich sein und mir alles von der Seele schreiben. Wenn Sie den Eindruck haben, jeder Ihrer Tage wäre gleich, dann schreiben Sie sich auf, was sich verändern darf. Wie möchten Sie Ihre Zukunft gestalten? Was mögen Sie besonders an sich und was möchten Sie korrigieren? Was haben Sie heute vom Leben gelernt? Was war heute anders als gestern? Schreiben Sie sich selbst einen Liebesbrief, mit Datum und Unterschrift. Verstecken Sie ihn irgendwo in Ihrer Wohnung, bis Sie ihn durch Zufall wieder finden. Verfassen Sie Briefe an alle Menschen, mit denen Sie noch eine Rechnung offen haben. Sie müssen sie ja nicht abschicken. Vielleicht verändert sich Ihre Sichtweise währenddessen Sie schreiben. Haben Sie ein Lieblingsgedicht? Schreiben Sie es auf. Ob Sie nun eine neue Handschrift erlernen möchten oder nicht, bleibt ganz alleine Ihnen überlassen. Hauptsache Sie schreiben wieder mit der Hand und kommen in Kontakt mit sich selbst und mit Ihrer Seele. Je achtsamer Sie werden, umso mehr hören Sie ihre eigene Stimme, die Sie fragt: Tut Dir das gut? Möchtest Du so weiterleben? Der Geist beruhigt sich und langsam wird sich Ihr Bewusstsein erweitern. Alles Alte darf sich in Liebe verabschieden. Der verrückte Professor kommt nur noch selten vorbei und wenn, weisen Sie ihn freundlich und bestimmt auf seinen Platz. Sollten Sie eine Abneigung gegen Ihre Handschrift oder Ihren Namen wahrnehmen, lassen Sie es mich wissen. So etwas lässt sich ändern. Damit kenne ich mich aus. Wie schnell jemand die Veränderungen seiner Denkmuster wahrnimmt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wie viel und wie oft jemand schreibt, ob er sich an die Vorgaben hält, wie bewusst oder unbewusst er vorher gelebt hat, usw. Glauben Sie mir nicht. Probieren Sie es aus und nehmen Sie wahr, wie Sie sich dabei fühlen. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diesen Text zu lesen. Ich werde mich gerne bei Ihnen revanchieren und mir Ihre Geschichte anhören.
Mit herzlichen Grüßen
Marika Jacqueline Wildenauer (Namala-Dozentin)